Ilse Gewolf
Malerin, lebt und arbeitet in Wien und im Südburgenland
 

Schreiben



„ICH WEISS KEINE BESSERE WELT“


SCHREIBENMALEN zum 30. Todestag Ingeborg Bachmanns

Fernab von jedem Bedürfnis nach herkömmlichem Angesprochenwerden und Verständnis :
Lassen wir die entspannende, mildernde Wirkung einer über Leinwände gezogenen, einer quasi portraitierten Sprache auf unsere anstrengungsbereiten Augen, auf unseren anspannungswilligen Geist wirken:
In einer teils verdeckten Darstellung von Worten und Wortfetzen, die sich der Direktheit einer Mitteilung verweigern, nur manchmal ein Wortbild erkennen lassen und damit die Möglichkeit zu einer Assoziation geben.
Schreibenmalen, Schriftentfremdung, Entdeutlichung, bis hin zur Entspannung, sollen zu der ganz anderen Spannung weiterführen, die zurückverweist auf den Text, mit dem sie ihr Spiel treiben, auf einer mehr umformenden als umdeutenden Ebene.
Sprache und Schrift scheinen so ihrer Verpflichtung enthoben, unmittelbar und präzise zu sein.
So sind meine Textportraits Stellungnahmen im unscharfen Bereich, Spurensuche im undeutlichen und doch erschreckenden Sprechakt einer zum Äussersten getriebenen künstlerischen, weil menschlichen, Empfindsamkeit, einer Empfindsamkeit, die im Moment ihrer Entäusserung das Schreibende Ich geradezu aus seiner ursprünglichen ästhetischen Formverankerung kippen lässt.
Wortgruppe um Wortgruppe löst mein Malen den Text aus seiner ursprünglichen Form, führt ihn über ins neue grosse Formfeld einer Leinwand.
Ich weiss nicht, wie weit es legitim ist, Schmerzworte auf solche Weise aus ihrer Mitteilungsganzheit zu nehmen, um sie einem anderen Zugang auszusetzen. Mir ist aber während meiner Arbeit bewusst geworden, dass am Grundtext nicht zu rütteln ist, dass meine malerische Antwort auf einer ganz anderen als der Verstandesebene stattfinden würde, denn:
Wenn von menschlichen Tiefenschichten her appelliert wird, dann müssen im Fall einer Kontaktaufnahme ebensolche Tiefenschichten auch reagieren, und daraus ergeben sich ganz bestimmte Aussageformen, folgerichtig und jenseits eines Kalküls.
Das ist der Erklärungspunkt, an dem ich den Betrachter an die Bilder selber verweisen muss, weil eine weitere Worterklärung tautologisch wäre.

Ilse Gewolf, 2003
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ZWEI SÄTZE ZUR STRICHERUPTION BEIM ARBEITEN NACH TEXTEN VON GERT JONKE


Von der Rückseite der frisch grundierten Leinwand her
magnetisieren Wortfeldtrichter
die arbeitsbereite Hand,
ergreifen die kopfschwungwillige Linienführungsabsicht
in einer kontertaktmelodischen Gegensteuerung wie im Flug,
entziehen sie, die Hand,
dem entwurfsbewährten Taktgefühl,
um sie einem rundumausschweifenden Strichschlag nachjagen zu lassen,
ohne Rücksicht auf eine mögliche neugierige Zurückwendung
und Rückwärtsverständigung
von der Leinwand über das Schreibmalgerät,
die Malhandverblüffung,
kurzum den ganzen,
in Gegenbewegung geratenen Malerinnenkörper
bis hin zum schon verlorenen
Bodenhaftungsausgangspunkt des Geschehens.


So schreibt und formt sich
ein ums andere Wortsäulensegment,
Gegenstromzeilen entstehen,
geben im Wachsen ein Tempo vor,
das von überallher auf sich selber zurasen muss,
das nach überallhin ausgreift,
in alle vier mal vier mal vier Winde
und nicht zurück.


Ilse Gewolf, 2006
Trennbild


FÜR GERT JONKE


Vor Jahren ein Wortespiel, ein leichtes,
ein Tanz mit der Zeit,
als könnte die Antwort immer kommen,
als wäre die Möglichkeit immer da,
eine Nachricht zu schicken,
als käme der Vogel immer geflogen,
als hätt er immer, wenn wir das wollen
und nach einigem Vergessen und Zögern
das Brieflein im Schnabel.

Da fallen mit einem Mal die Worte
vom Rand der Welt,
da hängen Gedanken an Telegraphendrähten
und die Sätze müssen nicht mehr von hier nach dort,
sie können auch von dort nach hier,
können auch ganz anders laufen.
Zeichen um Zeichen freigesetzt
und ohne ein Ziel
an der Außenhülle der Zeit.

Wie unumgänglich die Stille dort,
wo einer war und nun nicht mehr ist.
Wie erstaunlich aber die Stimme und die Bilder,
die eine hiergebliebene Sprache
am Leben erhält.
Da fallen mit einem Mal die Worte nicht mehr
vom Rand der Welt,
da nimmst du Gedanken von Drähten
und wirfst sie als Schwärme von Vögeln in alle vier Himmel.

Ilse Gewolf, Februar 2009
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AUF EINMAL WINKE ICH EINEM


voller Staunen hinterher, den ich schon nicht
mehr zu sehen glauben darf, einem, den ich wie einen lieben Bruder
immer irgendwo wusste, an den ich immer wieder
ein ums andere Wort hätte richten können und der mir immerzu irgendwann
eine Antwort auf den Schultern eines Vogelschwarms zukommen
hätte lassen wollen.
Wohl habe ich der Fluggeschwindigkeit der Vogelformationen
nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt
und so ist ein gefiederter Bote um den anderen
mit leeren Händen nach Süden geflogen,
so wurde ein ums andere Wort
nicht mitgeschickt oder gar fallengelassen.

Nur einmal, da haben wir einander beinahe zur rechten Zeit
und in entgegengesetzter Richtung die eine um die andere Botschaft
sozusagen auf den Weg geschickt,
sodass die gefiederten Botschafter
die Nachrichten aufeinander zu und aneinander vorbeibeförderten,
mit einer Präzision,
dass man sich an die legendäre Haaresbreite,
um nicht zu sagen, Haarschärfe, erinnert sehen hat müssen,
mit der es Züge immer wieder und gerade noch
aneinander vorbei schaffen.
Nun ist der Faden gewissermaßen gerissen
und an ein Aufeinandertreffen nicht mehr zu denken,
oder kann vielmehr und gerade, nur noch gedacht werden,
denn der Zug fährt längst
über alle Gleise und Bahnhöfe und Landschaften hinaus,
vorbei an Telamonen und Karyatiden,
hinaus aus der Zeit, in der bis dahin ein Leben gewohnt hat.


Ilse Gewolf, Februar 2009

So unüberschaubar ist die Gegend inzwischen geworden, dass man nichts mehr klar im Blick behalten kann (…..)
Wieviel Unsichtbares wird bald ganz leicht entdeckbar sein,
denn alles ist auf einmal so durchsichtig geworden, dass man nichts mehr durchschauen kann.

Gert Jonke, Erwachen zum großen Schlafkrieg, Salzburg, 1982
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FALTUNG
BRUCH
UND
RISS IM WORT

WORTFETZENFORM
UNWIDERRUFLICH
UNWIEDERHOLBAR
UNFASSBAR

UND DENNOCH

GEFASST
GERUFEN
GEHOLT
GEFORMT

UND GEBANNT

FALTUNG
BRUCH
IN SCHATTEN
UND LICHT

GAUKLER
TÄNZER
UND
AUGENVERFÜHRER
WORTEZERTEILER
UND
BILDERVERBERGER
ERWARTUNGSZERSTÖRER

UND DENNOCH

FOLGT
LICHT AUF DUNKEL
FORM AUF FORM
WIRD
FLÄCHE ZU RAUM
ENTSTEHEN
BRUCHGESTALTEN
RISSEZEICHEN
FÄLLT
FALTENSCHATTENLICHT